Oder wie aus einem kleinen Gedanken ein großes Werk wird.
Tag 1. Morgens sitze ich in meiner kleinen Küche. So beginnt mein Tag. Seit meinem Küchenumbau habe ich zwar mehr Stauraum und eine 5 cm größere Arbeitsplatte, dafür gibt es jetzt eine zusätzliche Ablagefläche unter der Schräge, die sich meist biegt vor lauter Zeugs. Weil wohin auch mit dem frisch geschnittenen alten Brot zum Trocknen, oder der angefangenen Flasche Rotwein, dem Brotkasten, der Schale mit Obst, dem Teller mit den Samen, die auf das Frühjahr warten? Ein Phänomen, das sicher viele kennen: Gib mir eine freie Fläche und ich stelle was drauf. Der einzige Platz für einen kleinen schmalen Tisch mit 2 Plätzen nebeneinander mit dem Rücken zum Herd. Blick auf die Tür, das ist zumindest Feng-Shui-mäßig energetisch großartig. Rechts die Schräge, links das Fenster. Der Ausblick: der Balkonkasten, zurzeit mit verholztem Thymian und einem Rosmarinstrauch, der sich wacker behauptet gegen meine ständigen Übergriffe. Und mit dem Thymian völlig verwachsen ein ebenso verholzter Lavendel, der aber immer noch jedes Jahr tapfer ein paar Stenzel heraus presst. Wenn der Blick weiter geht, kommt das Vorderhaus, heller Putz, mit Sandstein umrandete Fenster, Balkone mit Abgestelltem: Ein Vogelhaus, eine Leiter, vertrocknete Pflanzenkübel, ein Stuhl, eine kleine Girlande, übrig geblieben vom letzten Geburtstag. Noch ein bisschen weiter den Blick nach links oben. Ein kleines Stückchen Himmel. Aber dieser Ausblick, wie gesagt, nur wenn ich den Kopf drehe. Vor mir: Eine Wand. Noch ein Ausblick: Wenn ich an dieser Wand nach oben schaue, sehe ich, in Harmonie vereint, meine Sammlung von Tierbildern von verschiedenen Künstlern in klassischer Petersburger Hängung.
Tag 2 nach meinem Küchenumbau: Ich sitze am Tisch, rechts die Schräge, der kleine Einbauschrank, über den Kühlschrank hinweg die Tür, rechts das Fenster. Und ich denke: Urrgs! Da sitze ich nicht gerne. Kurz entschlossen – weil wenn die eigenen Impulse mich laut anschreien, dann sollte ich diesen wirklich folgen – meine Pflanzen und Tiermotive ausgepackt und begonnen, oberhalb der Tischkante ein kleine Wiese zu collagieren.
Wenn ich jetzt am Morgen am Tisch vor meinem Tee sitze, blicke ich ins Grün, auf Libellen und Heuschrecken, erfreue mich an dem Rotkehlchen auf der Mohnkapsel, bin ganz leise, damit das Reh im Gras nicht hinter dem Standmixer verschwindet. Und an der rechten Kante des Tisches sitzt eine Dogge, die so ein bisschen erstaunt gelassen in die Welt schaut.