Eigentlich habe ich mit Bambus nicht viel am Hut. Ich habe mir diese Pflanze nicht ausgesucht. Aber der Bambus hat mich ausgesucht, scheinbar. Vor 28 Jahren, vor 24 Jahren, vor 12 Jahren, vor 3 Jahren, vor 7 Monaten und jetzt endgültig, vor etwa 8 Wochen habe ich ja gesagt. Zum Bambus. Total verrückt, ich weiß. Aber so war es.
Angefangen hat es mit meinem ersten Praktikum als Landschaftsarchitektin in einem kleinen feinen Gartenarchitekturbüro in Frankfurt. Dort standen große Kübel mit riesigem Bambus überall – drinnen und draußen. Das Riesengras wurde regelmäßig gewässert und gedüngt mit dem Urin meines Chefs – wirklich! Denn Bambus hat irre Photosyntheseumsätze und braucht deswegen viel Wasser und Nährstoffe.
Einige Jahre später arbeitete ich in einem Büro in Darmstadt. Mit meinem sehr wertgeschätzen, lieben Doktorvater und Seniorpartner Prof. Robert Mürb und anderen hatten wir dort eine schöne Bürogemeinschaft unterm Dach. Mein Ausblick in den Nachbargarten war auf einen Bambus, auch hier wieder eine Pflanze aus der Familie der Phyllostachys. Darmstadt ist vom Klima der Bergstraße geprägt, hat also relativ viele Sonnentage. An diesen Tagen konnte ich den Bambus wachsen sehen, wirklich! Er kann an seinen heimischen Standorten bis zu 60 cm am Tag wachsen – wenn genug Sonne, Wasser und Nährstoffe da sind. Irre oder?
Noch dort in diesem Büro bearbeitete ich meinen ersten großen Auftrag, eine intensive Dachbegrünung in Berlin. Der Bauherr wünschte sich einen Bambusgarten auf dem Dach. Auweia, wenn Du weißt, wie aggressiv die Wurzeln des Phyllostachy sind, dann weißt Du, wie heikel eine solche Bepflanzung mit Bambus auf einem Flachdach ist. Diese „running bamboo species“ werden nicht umsonst als Pionierpflanze bezeichnet. Sie können sich die härtesten, unwirtlichsten Standorte erobern und dort im wahrsten Sinn des Wortes Fuß fassen. Wenn der Bambus dann einmal verwurzelt ist, kommen auch andere Arten, Pflanzen und Tiere, um dort zu leben. (Jennifer Snyders aus Australien wird heute abend im Bamboo Collaboration Congress mehr darüber erzählen in ihrem online Vortrag ‚Natur heilen mit Bambus‘. Du kannst gerne noch teilnehmen, Tickets gibt es hier.)
Ich mußte mich also mit dem Bambus beschäftigen und sorgte mit einer Anstaubewässerung und stabilen Automatismen zur dauerhaften Auffüllung der Anstauzone dafür (mit zuvor gesammeltem Regenwasser), dass der Bambus die Dachhaut nicht beschädigen wird. Denn der Phyllostachys mag keine feuchten Füße; er will nicht in stehendes Wasser wurzeln. Das Dach unter dem Bambus ist heute, etwa 23 Jahre später, immer noch wohlauf. Die Regenwasser-Systemik in diesem Projekt wurde vom Bund Deutscher Landschaftsarchitekten mit einem Preis gewürdigt, damals war das noch etwas sehr besonders.
Einige Jahre später wurde ich gebeten, als Gutachter in einem Versicherungsverfahren über Bambus zu sprechen. Ein kleiner Hausgarten inmitten eines Frankfurter Häuserblocks war als Bambusgarten angelegt worden. Ordentlich mit Wurzelschutzfolie und allem trallala. Aber der Bambus ist eben erfinderisch, flexibel, entschlossen zu expandieren usw, eine Pionierpflanze eben, und hatte im Laufe der Jahre alle Nachbargärten im Hauserblock erobert! Da gibt es manchmal keine andere Lösung als alles auszukoffern, auch den letzten Krümel Bambus zu entsorgen, und neu anzulegen. Ich empfehle unbedingt NICHT Phyllostachys Arten in heimischen Hausgärten zu pflanzen. Es kann gut gehen. Aber es kann auch böse enden…
Dann begann der Bambus auch meine Privatspähre zu erobern.
Zu meiner Hochzeit machten die engsten Freunde meines Mannes uns ein ganz wunderbares Geschenk: Einen riesigen Phyllostachys für unseren kleinen Stadtgarten!!! Ich pflanzte ihn in aller Betroffenheit und beäugte ihn mit aller Vorsicht. Er fühlte sich (zum Glück?) gar nicht wohl in meinem Garten. Vielleicht weil der Boden dort starkt kontaminiert ist von unseren Vorbesitzern? Oder vielleicht weil die Pflanze meine Vibes gefühlt hat? Hier und da sprossen nach einigen Jahren dennoch die ersten neuen Schosse hervor – in Nachbars Garten und auch im Hof. Ich hatte also endlich einen guten Grund, die Pflanze so tief und breit wie geht auszukoffern und zu verschenken. Seitdem muss ich immer mal wieder kleine Sprossen umkehren und mit der Spitze in die Erde stecken. Das habe ich in Kolumbien gelernt. Es hilft in meinem Garten. Wissenschaftliche Erkenntnisse dazu habe ich jedoch nicht. Ich hoffe, dass ich dazu am Sonntag mehr von der Bambus-Expertin Natalia erfahre, die im Bamboo Collaboration Congress Grundlagen zur Pflanze vermitteln wird. (Tickets dazu wie oben)
Na und dann entdeckte mein lieber Ehemann und Architekt Andrés Bäppler den Bambus als Baumaterial! Da gab es dann kein Entrinnen mehr für mich. In unseren sozialen Bildungsprojekten, die wir gemeinsam mit dem Deutschen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Kolumbien und den Menschen vor Ort entwickelt und gebaut haben, entstanden wunderschöne Schulen, Bibliotheken, Bambuswälder und andere Lernorte aus Bambus! Unseren vierbändigen Werkbericht über diese Bauwerke und die Lernprozesse dazu, gibt es in Kürze auf amazon zu kaufen (deutsch, englisch, spanisch). Andrés wurde dazu mit einem internationalen Architekturpreis (FIBRA AWARD) als Pionier im Bauen mit Bambus geehrt. Bambus ist ein unglaubliches Material! Vielseitig, multifunktional und vor allem: NACHWACHSEND! Stahl, Beton und Holz sind Baustoffe, die schon jetzt starke Preiserhöhungen erfahren, weil sie limitiert sind. (Holz benötigt viele Jahre zum Heranwachsen; unsere weltweiten Holzressourcen – zur Abholzung – sind limitiert!) Bambus wächst super schnell und kann bereits nach 5 Jahren geerntet werden. Und: Die Pflanze wird beim Ernten nicht gerodet wie ein Baum, sondern in der nachhaltigen Bewirtschaftung von Bambushainen werden nur einzelne Halme geerntet! So, wie ich einen Apfel pflücke, ohne den Baum zu beschädigen.
Als wir unsere Arbeit in Kolumbien beendeten, dachte ich, der Bambus hätte nun genug von mir.
Aber vor einigen Monaten kam er dann doch wieder ungefragt in mein Leben. Ich musste die Moderation der European Bamboo Expo 2023 in Dortmund übernehmen. (Mein Mann hatte diesen Event mit einem Kollegen organisiert). Ich stehe nicht gerne auf einer Bühne. Und schon gar nicht, wenn ich von der Materie nicht soviel Ahnung habe. Aber ich stellte mich der Aufgabe und reduzierte mich auf wenige Worte. Die phantastischen 24 Sprecher und mehrere hundert Gäste aus vielen verschiedenen Ländern machten mir meine Aufgabe leicht. Sie feierten den Bambus und ihre Projekte auf eine sehr besondere, zukunftsorientierte und wertschätzende Weise. Ich kam sehr berührt aus diesem mehrtätigen Event zurück. Ich hatte das Gefühl einen Blick in eine gute Zukunft gemacht zu haben. Denn Bambus könnte für viele Probleme unserer Zeit eine Lösung bereit halten. Er wird als CO2-Top-Killer, Biodiversitäts-Booster, Lebende Zisterne, Bodenheiler usw. gefeiert. Ich bin sehr gespannt, was ich in den nächsten 3 Tagen beim Bamboo Collaboration Congress lernen werde…
All das, mein grünes Herz und besondere Menschen wie Silvia Streifel, Podcasterin von GRÜNER GEHT IMMER, Susanne Lucas von der WORDL BAMBOO ORGANIZATION, Rubén von Seis de la Manana und Andrés haben mich dann endgültig ja sagen lassen zum Bambus. Vor circa 3 Wochen haben wir die Lernplattform EMPOWERMENT BAMBOO ins Leben gerufen. Einen Lernraum der neuen Zeit: Digital, global, agil, holistisch, werteorientiert und auf Dauer angelegt. Eine Art Bambus-Schule für alle. Wirklich für alle, für Experten, Anfänger, Liebhaber, Unternehmer, Politiker, Industrielle, Universitäten, Schulen… Jeder bringt ein, was er kann. Es geht um Kooperation statt Konkurrenz. Um Verstehen statt Verurteilen. Um Vertrauen und Respekt statt Neid und Gier. Ich halte den Raum; gestalte den Prozess, achte auf die Werte, stelle Zusammenhänge her usw.. Die Bambus-Experten sind andere.
So hat mich der Bambus also auch erobert. Ich habe nicht darum gebeten. Aber ich habe zugehört und bin dem Ruf gefolgt. Jetzt hab ich den Salat;-)
Jennifer Snyders. Ihr Projekt geht mir nicht mehr aus dem Kopf!